Subjektive Glaubenszweifel werden heute nicht nur goutiert, sondern auch konfessionsübergreifend in eigene Bekundungen freimütig integriert. Manch aufgeklärter Kulturchrist verfügt über ein skeptisches Gemüt und philosophisch imprägnierte Vorbehalte. Das apostolische Glaubensbekenntnis wird, auch in Gottesdiensten, munter relativiert und verschlankt. Wer sich etwa geschmeidig zur "jungen Frau und Gottesmutter" statt zur "Jungfrau und Gottesmutter" bekennt, darf auf verständiges Nicken hoffen. Der kultivierte Zweifel erscheint in der Gestalt des selbstbewusst artikulierten Unglaubens.
Oder sind die Zweifel doch berechtigt? Mehr noch: Sind Zweifel in sich wertvoll und ist der Zweifler gar gerechtfertigt? Der protestantische Theologe Paul Tillich (1886-1965) dehnte den Kreis des Glaubens vor etwas mehr als 100 Jahren aus (vgl. Rechtfertigung und Zweifel [1924], 12-34, in: Rechtfertigung und Neues Sein, hg. v. Christian Danz, Leipzig 2018). Er betrieb auf gewisse Weise eine theologisch souverän argumentierende Inklusion, die bis heute in den christlichen Kirchen fortwirkt.
Allerdings fordert Tillich nicht, auf die Verkündigung der Wahrheit des Evangeliums zu verzichten, im Gegenteil. Der Zweifler darf zweifeln, aber er hat kein Recht darauf, dass er katechetisch vernachlässigt und in seinem Irrtum bestärkt wird. Wahrheit, so Paul Tillich, dargeboten als "wärmende Glut" und nicht als "verzehrendes Feuer" überzeuge nicht. Heute dagegen bleiben die Zweifler antwortlos. Wer verunsichert ist, der darf es bleiben, vielleicht sogar eingemeindet in eine spätchristliche Willkommenskultur, in der am Ende alles gleichermaßen gültig und damit gleichgültig ist.
Tillich dagegen erkannte den Ernst des Zweifels, der mitnichten ein Accessoire der Lebenswelt ist, sondern die Person zuinnerst trifft, "der Zweifel an Gott wird zum Zweifel an der Wahrheit selbst und damit in letzter Vertiefung zum Zweifel an dem Lebenssinn überhaupt". Tillich schreibt weiter:
"Der Zweifel im religiös bedeutungsvollen Sinn ist derjenige Mensch, der mit dem Verlust der religiösen Unmittelbarkeit Gott, die Wahrheit und den Lebenssinn verloren hat, oder auf irgendeinem Punkte des Weges zu diesem Verlust steht, und doch nicht in diesem Verlust ausruhen kann, sondern gerufen ist von der Forderung, Sinn, Wahrheit und Gott zu finden. Der Zweifler ist also derjenige, den das Gesetz der Wahrheit mit seiner ganzen rücksichtslosen Gewalt gepackt hat, und der, da er dieses Gesetz nicht erfüllen kann, der Verzweiflung entgegengeht. Der Zweifler befindet sich also in der Lage dessen, der an seinem Heil verzweifelt, nur dass für ihn das Unheil nicht das Verwerfungsurteil Gottes, sondern der Abgrund der Sinnleere ist."
Von dieser existenziellen Radikalität weiß die heutige laue Einbettung des Glaubenszweifels überhaupt nichts. Ob Tillichs "Durchbruch der Grundoffenbarung", in der der Einzelne zusammengeführt wird mit jedem Anderen, unter dem "Gericht der unbedingten Wahrheit" – und damit von dem, was jeden Menschen unbedingt angeht –, die die "Rechtfertigung des Zweiflers" sei, bleibt dahingestellt, auch ob das Christentum dadurch "Menschheitsreligion" und die Bibel "Menschheitsbuch" würde. Darüber ließe sich theologisch streiten, aber diskutiert wird solches gegenwärtig bedauerlicherweise nicht. Die "Grundoffenbarung", so Tillich, nehme dem Zweifler jede Position, von der aus er zweifeln könne. Der Theologe sah dies, und nicht den schalen Kompromiss oder das Einverständnis mit dem Zeitgeist, als Triumph des "protestantischen Universalismus" an.
"Wer an etwas glaubt, zweifelt nicht daran"
Dürfen Christen, dürfen Katholiken heute also zweifeln? Ernste Fragen verdienen ernste Antworten. Der christliche Glaube ist schließlich keine beliebige Meinung. Oder doch? Gottlieb Söhngen hat in seiner "Philosophischen Einübung in die Theologie" (Freiburg/München 1955) den Akt des Glaubens – resonanzvoll Thomas von Aquin bedenkend – deutlich vom Zweifel abgesetzt und als "Denkbewegung mit Zustimmung" bestimmt, frei von jedem "Schwebezustand wie das Zweifeln": "Glauben als Akt ist weder Schauen noch Wissen, weder Meinen und bloßes Vertrauen noch gar Zweifeln, sondern ein festes Fürwahrhalten." Die "Denkbewegung des Glaubens" sei "auf dem Wege zur Schau und zum ruhigen Besitz der Wahrheit". Söhngen formuliert deutlich: "Glauben ist Pilgerschaft." Die Zustimmung erwachse aus dem Willen, der über das zu Glaubende befindet:
"Unsere gläubige Zustimmung zur göttlichen Wahrheit selbst steht felsenfest mitten in der Unruhe unseres beweglichen Denkens und mitten in der Anfechtung von unserem suchenden Denken her. Erst wenn unser Glauben ins Schauen übergegangen sein wird, wird unser ‚Denken‘ zu Ende sein, und unser Geist wird Ruhe finden im ruhigen Leuchten des ewigen Lichtes."
Das "Zweifeln" wird als "äußerster Gegensatz" bestimmt, der "Glaubenszweifel" als dasjenige, "was der Glaubende unter sich halten muss als seine Anfechtung". Der Glaubende glaubt mit Verstand und Erfahrung. Er glaubt damit nicht wie jemand, "der die Glocken hat läuten hören, aber nicht weiß, wo sie hängen": "Glauben ist denkender und verstehender Glaube, denkende und verstehende Zustimmung. Es gibt kein echtes Glauben ohne irgendein Glaubensverständnis und Glaubenswissen."
Söhngen wirbt für eine straffe Unterscheidung von Glauben und Zweifel – und damit erinnert er an den Ernst der Frage nach Gott. "Der Zweifel hat seinen seelisch-geistigen Ort nicht innerhalb, sondern außerhalb des Glaubens. Wer an etwas glaubt, zweifelt nicht daran; und was einer glaubt, das bezweifelt er nicht." Der Glaube indes kann ein "vom Zweifel angefochtener und mit dem Zweifel kämpfender Glaube" sein. Im Akt des Glaubens aber sei der Glaubende "kein zugleich Glaubender und Zweifelnder": "Der Glaubende hat also keine Glaubenszweifel (in betreff dessen, was er glaubt), wohl aber Glaubensschwierigkeiten." Die Schwierigkeiten sind solche des Verstandes und des Herzens. Der "Gegenspieler des Glaubens" sei "nicht rein der Zweifel der Vernunft, sondern der Zweifel und die Verzweiflung des Herzens".
Mit Blick auf John Henry Newman gesagt, machten "zehntausend Schwierigkeiten nicht einen Zweifel". Schwierigkeiten sind erlaubt, zulässig und manchmal sogar gerechtfertigt, aber deswegen beginnt ein gläubiger Mensch nicht zu zweifeln. Das beste Beispiel hierfür ist Gottlieb Söhngen selbst. Im Vorfeld der Dogmatisierung der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel gab es leidenschaftliche Debatten. Theologieprofessoren stritten sich. Gottlieb Söhngen erhob 1949 Einspruch gegen die Möglichkeit des Dogmas. Sein evangelischer Kollege Edmund Schlink fragte ihn: "Was werden Sie aber tun, wenn das Dogma doch kommt? Müssen Sie dann nicht der Kirche den Rücken kehren?" Söhngen antwortete: "Wenn das Dogma kommt, dann werde ich mich daran erinnern, dass die Kirche weiser ist als ich, und ihr mehr vertrauen als meiner eigenen Gelehrtheit."
Dem Philosophen und Theologen waren also Schwierigkeiten mit dem Glauben durchaus vertraut, nicht aber Zweifel am Glauben. Den Zweifler ernst nehmen heißt also: nicht dessen Zweifel bestätigen, sondern von der Freude des Glaubens, ungeachtet aller eigenen temporären Schwierigkeiten damit, erfüllt und im Evangelium, in der Lehre und im Credo der Kirche verwurzelt zu bleiben.